Auf ein Wort ...

Herbst

 

Ob es nach dem verrückten Sommer einen richtigen Herbst geben wird? So einen mit milden Abenden und dem Geruch nach reifen   Äpfeln, mit bunten Asternsträußen und Schwalben auf dem Draht kurz vor dem Abflug… So richtig können wir uns das bald gar nicht mehr vorstellen, weil nichts mehr so ist, wie es immer war. Aber davon träumen kann ich ja trotzdem…

Kennt ihr noch Karl Heinrich Waggerl? Als Studentin bekam ich ein Buch mit Zitaten von ihm geschenkt – ich habe es immer noch,  „Kleine Münze“ heißt es: lauter kluge Sätze mit einer guten Portion Humor, dazu ein paar Fotos und das Aquarell dieser Äpfel. So wie sie aussehen, hätten sie nie den Weg in ein Supermarktregal gefunden.

Aber genau deswegen mag ich diese Äpfel, denn sie erinnern mich daran, dass auch ich „Schönheitsfehler“ habe. Im Alter werden sie deutlicher – mir und sicher auch meinen Mitmenschen. Aber irgendwie kann ich lockerer als früher damit umgehen: Sie gehören eben zu mir! Nur: Kann ich das auch bei anderen akzeptieren?

Wenn ich die Nachrichten höre oder sehe, erschrecke ich oft, wie  wenig Toleranz und Mitgefühl unseren Umgang miteinander bestimmen. Mich erschreckt die wachsende Rücksichtslosigkeit und mehr noch das Ausmaß an Hass und Gewalt in der Politik und in der Gesellschaft. Oder bin ich nur zu alt, um das alles noch zu verstehen?

Ich wünsche mir eine Welt, in der Menschen untereinander Respekt haben, auch wenn sie nicht gleicher Meinung sind, eine Welt, in der Regeln eingehalten werden, auch wenn sie nicht zum eigenen Vorteil sind, eine Welt, in der auch die Kleinen und Schwachen ein Lebensrecht haben und die Starken über dessen Einhaltung wachen. Ob wir es schaffen, aus der Hitze des Sommers in die Gelassenheit des Herbstes finden?

Sr. Brigitte Werr osu, Straubing

 

Bild: Aquarell, in: Karl Heinrich Waggerl, Kleine Münze, Salzburg 1957

 

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Herbstbild

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel